Eines der großen Themen unserer Zeit ist – völlig zurecht und man fragt sich eher warum erst jetzt – die Gleichberechtigung. Wie oft, wenn ein Thema eine bestimmte Relevanz in der Breite bekommt, nimmt man Übertreibungen wahr. Was aber helfen kann, um schnell Veränderungen zu bewirken. Kleinste Verletzungen der gerade opportunen Trends werden massiv angeprangert, ein vernünftiges Maß im Umgang ist oft nicht zu erkennen.
Geschlecht, Hautfarbe, Behinderung - machen wir hier aus einer Diskriminierungsperspektive einen Unterschied? Eines betrifft die Wertschätzung - das andere die grundsätzlichsten Formen des Lebens - die Grundrechte. Stichwort Freiheit. Wie frei bin ich, wenn ich mich nicht bewegen kann? Wird dann ‚mein Wert‘ geschätzt?
Das Deutsche Grundgesetz spricht von Menschenwürde, Freiheit der Person; dass es keine Nachteile für Behinderte geben darf. Schließen Sie also die Augen und gehen Sie zwei Blocks zu Ihrem Lieblingsrestaurant. Fühlt es sich an wie Freiheit? Wurde der Weg als ‚würdevoll‘ empfunden? War alles so, dass sie sich problem- und gefahrlos orientieren konnten?
Wir machen uns große Sorgen um die Gleichbehandlung der Geschlechter, aber machen wir uns auch Sorgen um die Millionen Menschen, die in ihrer Freiheit massiv eingeschränkt sind und obwohl sie ein verfassungsmäßiges Recht haben, kümmert es niemanden?
Dieser Blick ist meine persönliche Perspektive – als Vater eines stark sehbehinderten (unter 5%) Kindes. Daher kann ich aus eigener Erfahrung berichten – nicht als direkt Betroffener, aber als jemand, der beobachten kann, wie die Realität für jemanden mit einer Behinderung ist. Dies lässt sich aber auf jede andere Behinderung einfach übertragen.
Ich möchte nicht auf Regelungen, Theorie und Diskurs eingehen, sondern praktisch beschreiben, was ich sehe bzw. wie ich den Alltag wahrnehme – sowohl was die öffentliche Diskussion zum Thema Gleichberechtigung angeht als auch den Alltag mit einem behinderten Menschen.
Gerät nur in unser Bewusstsein wer laut ist? Medial verwertbar für Quote und Auflage ist? Ist das alles was hinter diesem differenzierten Umgang mit Diskriminierung steckt? Ist es nur die Geschichte die falsch erzählt wird, wie uns der französische Soziologe Roger Caillois in Ars Poetica glauben lässt?
„Auf der Brooklyn-Bridge in New York stand einmal, so erzählt man, ein blinder Bettler. Eines Tages fragte ihn jemand, wie viel ihm die Passanten am Tag durchschnittlich gäben. Der Unglückliche antwortete, dass die Summe nur selten zwei Dollar betrage. Der Unbekannte nahm das Schild, das der Bettler auf der Brust trug und auf dem sein Gebrechen zu lesen stand, drehte es um und schrieb einige Worte auf die Rückseite. Dann gab er es dem Bettler zurück und sagte: „Ich habe auf Ihr Schild einen Satz geschrieben, der Ihre Einnahmen merklich erhöhen wird. In einem Monat komme ich wieder, und Sie werden mir sagen, wie das Ergebnis ausgefallen ist.“ Und nach Verlauf eines Monats: „Sir“, sagte der Bettler, „wie soll ich Ihnen danken? Ich nehme jetzt zehn und manchmal bis 15 Dollar am Tag ein. Es ist das reinste Wunder. Wie lautet denn der Satz, den Sie auf mein Schild geschrieben haben und der mir so viele Almosen einbringt?“ – „Ganz einfach“, erwiderte der Mann: „Auf Ihrem Schild stand Blind von Geburt; ich habe stattdessen geschrieben Der Frühling wird kommen, und ich werde ihn nicht sehen.“
Oder liegt es womöglich daran, dass man sich immer noch schwer damit tut, Behinderungen bzw. Menschen mit Behinderungen zu akzeptieren? Behinderung – allein das Wort. Was löst es in den meisten aus? Bilder wie von bunten, fröhlichen, positiven LGTBQ Veranstaltungen? Wohl kaum.
Einer von vielen Selbstversuchen, der besonders eindrucksvolle Erkenntnisse liefert, ist mit einem Sportwagen auf einem Behindertenparkplatz zu parken (natürlich mit Berechtigung). Persönliche Angriffe, skeptische Blicke, heimliches kontrollieren ob da ein Ausweis ist und vieles mehr kann man da erleben. Kann doch nicht sein, dass ein Behinderter so ein Auto hat. Behinderte sind arm, schwach, bedürftig. Das ist es doch. Am besten nichts von denen sehen und hören – wie sehr stört es die perfekte, bunte, fröhliche Welt, in der wir leben.
Gleichberechtigung na klar; aber schon ein wenig selektiv.
Schließen wir doch alle noch einmal für einen Moment unsere Augen.
Comments